Ein Traum wird wahr – Besteigung des 6.001 Meter hohen Deo Tibba

Dies ist ein Gastbeitrag von Sarah, die in Indien lebt und dort als Veranstalterin für Erlebnis- und Bergsportreisen im Himalaya arbeitet.

Ein Traum wird wahr! Besteigung des 6.001 Meter hohen Gipfels Deo Tibba in Himachal Pradesh, India.

Ein Rückblick wie es dazu kam

Berge haben mich schon immer wie magisch angezogen! Wenn wir von unseren Familien Urlauben mit dem Auto zurück aus den Bergen kamen, hatte ich als Kind immer Tränen in den Augen, schaute sehnsuchtsvoll aus der Heckscheibe zurück auf die Berge und erklärte meinen Eltern, dass ich, wenn ich groß bin, einmal in die Berge ziehen werde!

Als ich kleiner war, liebte ich Heidi, später, in den Sommerferien, die ich bei meinen Großeltern verbrachte,  kramte ich die Himalaya Bücher meiner Großmutter aus und verbrachte Stunden beim Lesen der Bergsteigergeschichten hinter der Couch.

Wenn wir auf Wanderschaften gingen, kletterte ich immer zum mir höchst möglichen Punkt, nur um festzustellen, das es dahinter noch höher ging.

Ich kann mir meine Liebe zu den Bergen nicht erklären, immerhin bin ich als Ostseekind aufgewachsen und habe keine natürliche Verbindung zu den Bergriesen. Doch seid meiner Kindheit fühle ich mich in den Bergen zuhause. Sie geben mir Geborgenheit, Frieden und Beschäftigung.

Mein Weg in die indischen Berge

Wie von selbst ergab es sich dann nach dem Abitur, dass ich als Freiwillige erst nach Indien entsendet wurde und ich dann meine ersten Trekkingtouren im indischen Himalaya machte. Für mich waren diese mehrtägigen Touren in den Bergen das größte: Ganz auf uns allein gestellt verbrachten wir wundervolle Zeiten in den einsamen Bergen, bewältigten Pässe, gelangten zu wunderschönen Seen, kochten und aßen gemeinsam. Für mich die perfekte Art, meine Tage zu verbringen.

Blick auf den Deo Tibba vom Base Camp

Ich entschloss mich in den Bergen zu bleiben, absolvierte ein Bergsteigertraining und begann gemeinsam mit einem einheimischen Trekkingveranstalter Bergtouren zu organisieren. Im letzten Jahr machte ich mich dann mit meinem eigenem Unternehmen Chalo Reisen! selbstständig und veranstalte nun Mountainbiking-, Trekking- und Bergsteigertouren im indischen Himalaya.

Trekkingtouren in den Bergen

Trekking ist eine Sache. Ich liebe diese einfache Form der Fortbewegung. Man hat seine Bewegung, erreicht körperliche Ziele, hat nur sich selbst, die Gruppe und das Gebirge, lebt einfacher, weit weg von menschlichen Zivilisationen mit ihrer Hektik, den Leistungsdruck und den ständigen Medien.

Doch irgendwann im letzten Jahr, reichte mir „nur“ Trekking nicht mehr. Auch Trekkingtouren können herausfordernd sein. Manche von ihnen gehen über 5.600 Meter Pässe, sind Wochenlang und beinhalten Stundenlange Tage in denen es auf und ab geht.

Aber ich wollte mehr! Während meiner Bergsteigerausbildung lernte ich mit Bergsteigerausrüstungen wie Steigeisen, Eispickel und Seil umzugehen. Dieses Wissen wollte ich nun anwenden um den Bergen selbstständiger näher zu kommen.

Trekking versus Bergsteigen

Bei einem Trek wird die Ausrüstung wie Zelte, Schlafsäcke etc. von Pferden oder Trägern transportiert, ein Koch kocht leckere und aufwendige Speisen und es geht auf Pfaden von einem Camp zum nächsten.

Bei einer Bergsteiger Expedition hingegen tragen die Teilnehmer das gesamte Gepäck, die Verpflegung ist einfach, aber nahrhaft und auf den technisch schwierigen Anstiegen muss Kletterausrüstung benutzt werden um einen sicheren Aufstieg zu gewährleisten.

Während einer Expedition ist man den Bergen nahe. Das ist wunderschön, kann aber auch vor allem mental schwierig sein! Tagelang verbringt man im Schnee, auf einer Höhe, wo kein Leben mehr existiert. Langsam muss man sich der Körper an den Sauerstoffmangel gewöhnen, es gilt sich warm zu halten und stark zu sein, für den nächsten Tag zum nächst höheren Camp.

10 Tage Deo Tibba Expedition

2015 im Juni, sollte sich mein Traum nun endlich erfüllen: ich nahm an einer zehntägigen Expedition zum 6.001 Meter hohen Deo Tibba, dem zweithöchsten Berg der Pir Panjal Gebirgskette im indischen Himalaya, teil.

Trek zum Base Camp

Hindernisse während einer Expedition

Wenn man sich auf eine Bergsteiger Expedition begibt, kann man sich dem Endresultat nie sicher sein.

Vielleicht erreicht man den Gipfel, vielleicht wird man aber auch zur Umkehr gezwungen, ohne das Ziel erreicht zu haben. Gründe dafür kann es viele geben. Zugegeben, es gibt mehr Argumente gegen eine erfolgreiche Expedition, als dafür:

  • Wenn man kein gutes Wetter hat, kann man einen Berg nicht besteigen. Man muss voller Geduld auf sonnige Tage warten.
  • Es geht hoch hinauf: in solchen Höhen muss man sich gut akklimatisieren. Wieder ist hier Geduld gefragt und manchmal hat man einfach Pech. Nicht jeder Körper ist gleich und selbst der selbe Körper hat manchmal Schwierigkeiten sich an die Höhe anzupassen. Die Höhenkrankheit ist eine große Gefahr für Bergsteiger und wer sie bekommt, macht sich lieber schnell auf den Abstieg.
  • Naturgewalten wie Lawinen, Gletscherabrüche, Wetterumschwünge etc. sind immer wieder mit einzukalkulieren und können im Extremfall sogar tödlich enden.
  • Nicht genügend Verpflegung hat auch schon so manchen Bergsteiger zur Umkehr gezwungen. Wenn man tagelang bei Schneefall auf gutes Wetter wartet, kann der Proviant schon einmal zur Neige gehen.

Unser Abenteuer

Doch unsere 10 Expeditionsteilnehmer hatten Glück: Zwar warteten wir zwei Tage bei Schneefall in unserem Advanced Basecamp auf 4.600 Meter. Doch half uns diese Zeit wohl eher bei unserer Akklimatisierung.

Bis zum Basecamp glich die Expedition einen netten Trek: Wir hatten Pferde bis zur Schneegrenze mit dabei, unser Koch Happy verwöhnte uns mit Pfannkuchen zum Frühstück und es ging durch Wälder und über Wiesen in unseren normalen Trekkingschuhen.

Load-Ferry

Von unserem Basecamp zum Advanced Basecamp und vom Advanced Basecamp zum Gipfel Camp mussten wir jeweils einen „ Gepäcktransport“ machen. Das heißt, dass wir am ersten Tag lediglich zum nächsten Camp mit gefüllten Rucksäcken stiegen, um extra Gepäck wie Verpflegung, Material etc. hoch zu transportieren. Am nächsten Tag haben wir dann das gesamte Camp gewechselt. Zum einen trägt man nicht ganz so schwer. Zum anderen hilft es einem wieder bei der Akklimatisierung: „Hoch gehen, tief schlafen“.

Gepäck Transport zum Camp 1 - harte Arbeit

Auf einer Expedition lernt man viel über sich selbst

Während wir die zwei Tage im Advanced Base Camp warteten, wurden wir stark mit uns selbst konfrontiert. Es ist nicht einfach zwei volle Tage im Schnee zu verbringen. Hier gibt es nicht viel mehr zutun, als im Zelt zu liegen, etwas zu lesen, Tee zu trinken, zu essen und zu schlafen. Da kann einem die Zeit schon ein wenig lang werden, vorallem wenn man eigentlich den Plan hat, den Deo Tibba zu besteigen, der noch über 2.000 Meter über einen ragt.

Doch wir hatten ein tolles Team mit vielen positiven Teilnehmern. Wir spielten viele kreative Gruppenspiele, malten Bilder in den Schnee oder versuchten unser Camp mit dem Bau von Schneetischen und Stühlen praktisch zu verbessern. Das hielt uns beschäftigt!

Wir warten 2 Tage auf gutes Wetter im Camp 1

Es geht hoch hinauf

Als dann endlich nach zwei Tagen der Himmel aufklarte waren wir alle begeistert und voller Motivation. Der Tag zum Gipfelcamp war dann jedoch sehr anstrengend! Endlich benutzten wir unsere Steigeisen und fixierten Seile. Doch der steile Aufstieg mit vollen Rucksäcken und hoch bis auf 5.600 Meter war zwar aufregend, doch auch extrem anstrengend!

Nach jeden 10 Schritten musste ich eine zwei minütige Pause einlegen um meinen Atem wieder zu kontrollieren und meine Hand langte immer wieder in die Hosentasche gefüllt mit Nüssen und Rosinen um mir Energie zu zuführen.

Ich trank permanent und das Wasser war wie ein Lebenselixier. In diesen Höhen muss man einfach trinken, trinken, trinken!

Endlich gutes Wetter auf dem Weg zum Gipfel Camp. Im Hintergrund der Duangon Pass

Das Gipfel Camp

Am Gipfel Camp angekommen, hatte ich nur eine kurze Verschnaufpause, dann ging es auch gleich wieder zum Abstieg. Solche sogenannten „ Load ferry“ Tage sind immer lang und anstrengend, da man ja hoch und runter geht. Auch wenn man sich hinab fast nur abseilt, finde ich den Abstieg besonders geistig fordern, da er große Konzentration bezüglich der Schrittsetzung nach unten verlangt.

An diesem Tag war ich wirklich zum ersten Mal erschöpft und Kopfschmerzen setzten ein, nachdem wir das Camp erreichten. Fast hätte ich mir einen Schlechtwettertag für den nächsten Tag gewünscht, einfach um mich auszuruhen.

Doch wir schienen eine Schönwetterphase zu haben und stiegen am nächsten Tag endgültig hoch zum Gipfelcamp. Es ging mir deutlich besser und ich fühlte mich stark. Zunehmend wurde ich aufgeregeter: Wenn alles nun nach Plan verlaufen sollte, würde ich in wenigen Stunden schon auf dem Gipfel stehen.

Unser Gipfel Camp

Zunächst einmal waren wir hier auf 5.600 Meter. Noch über 400 Meter vom Gipfel entfernt. Zelte mussten aufgebaut werden und wir mussten uns auch unverzüglich an das Wasserkochen machen. Hier oben gibt es nur Schnee! Ich und mein Zeltkumpane übernahmen diese Aufgabe und schmelzten einen Liter Wasser nach dem anderen. Ein schleichender, aber wichtiger Prozess. Hier oben ist die Sonne stark und die Luft dünn! Also wieder trinken, trinken, trinken.

Diese Nacht ging es früh zu Bett. Noch nie hatte ich soweit oben geschlafen. Es war mit -10°C kalt, doch in meinen Schlafsack war es relativ gemütlich. Wirklich gut schlafen konnte diese Nacht keiner!

Der Lange Tag der Gipfelbesteigung

Um 2 Uhr morgens standen wir auf, aßen eine Kleinigkeit und machten uns mit Taschenlampen, Helm, Klettergurt und Steigeisen auf den Weg zum Deo Tibba Gipfel. Der Anstieg war lang und zehrend. Kaum drei Schritte konnte ich setzten, bevor ich wieder eine Atempause brauchte. Gut, dass die ersten Stunden im dunkeln waren, so konnte ich nicht das weit entfernte Ende des Anstieges sehen. Umso schöner war es, den Sonnenaufgang über den Bergen mitzubekommen. Langsam tauchten die Berge in ein weiches Licht und schon ging es mir ein wenig besser. Wir gelangten auf eine flache Plattform. Von hier war der Gipfel gar nicht mehr so weit entfernt.

Gipfeltag - Start um 3 Uhr Nachts

Da es über einen Gletscher ging, seilten wir uns an und überquerten das Eisfeld langsam. Nur noch weitere fünfzig Meter bergauf über hartes Eis und dann … ich hatte schon Tränen in den Augen … stand ich oben auf dem Gipfel! Meinen ersten Gipfel und zudem noch über 6.000 Meter. Der Blick wahr unbeschreiblich. Es war erst 9:00 Uhr morgens und wir hatten eine klare Sicht auf alle umliegenden Gipfel! Ich wahr voller Emotionen. Der Gipfeltag war so hart, dass ich schon kleine Zweifel während des Anstieges bekam, ob ich es überhaupt schaffen würde.

Noch nie hatte ich etwas so hartes gemeistert, noch nie war etwas für mich so anstrengend gewesen!

Die Freude war rein und ausgelassen. Doch wir hatten noch einen langen Tag vor uns. Schließlich mussten wir auch wieder hinab! Ich war so müde und Schokoriegel versorgten mich mit neuer Energie. Langsam ging es wieder hinab. Zunächst zum Gipfelcamp. Hier brauchten wir alle eine lange Pause und tranken, tranken, tranken. Während des Aufstieges auf den Gipfel war mein Wasser gefroren, sodass ich viel zu wenig Flüssigkeit zu mir nahm!

Auf dem Deo Tibba

Nach etwa einer Stunde fühlten wir uns besser und kletterten weiter hinab bis zu unserem Advanced Basecamp. Mit jedem Meter, den ich weiter abstieg, fühlte ich mich besser und schließlich erreichten wir gegen 18 Uhr das Camp, unser altes zuhause. Eine heiße Reissuppe wartete auf uns und dann vielen uns auch schon alle die Augen zu!

Hinab nach Manali – zurück in die Zivilisation

Auch der nächste Tag war lang, für mehrere Stunden wanderten wir bis zum Ausgangspunkt der Expedition. Wir waren alle müde, doch wie beseelt. Es war ein schönes Gefühl, unsere Wanderschuhe wieder tragen zu können und unglaublich endlich wieder Vogelgezwitscher, den Geruch der Nadelbäume und die Farben der bunten Blümchen wahr zu nehmen! Wie schön die Welt doch ist.

Spät erreichten wir Manali. Die heiße Dusche tat gut, auch das Ziegencurry verhalf mir zu neuer Energie. Dennoch brauchten wir alle mehrere Tage um uns wieder zu regenerieren. Unsere Lippen waren aufgerissen, die Haare verknotet und alle Knochen taten weh. Gut, dass wir hier in Indien sind: Eine lange Massage erweckte meinen Körper mit neuen Lebensgeistern und so eine Pizza ist doch auch immer wieder lecker!

Über die Autorin

Die deutsche Sarah Appelt lebt seit 5 Jahren im indischen Teil des Himalaya und organisiert vor Ort Trekkingtouren, Expedition und Mountainbikereisen maßgeschneidert nach den Wünschen ihrer Gäste. Sie hat in Indien diverse Bergsteigerkurse belegt und ein Tourismusstudium abgeschlossen.

Der indische Himalaya eignet sich für Bergliebhaber jeden Levels perfekt dazu erkundet zu werden. Ob einfache Treks durch leichtes Terrain oder technisch anspruchsvolle Bergsteiger-Expeditionen auf noch unbestiegene Berge – hier findet jeder „seine“ Tour.

In ihrem Blog schreib Sarah natürlich überwiegend über ihre neue Heimat Indien.

Fotos: Sarah Appelt

Kategorien: Indien

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